SCRABBLE (denk nicht so viel)
d e n k n i c h t s o v i e l d e n k n i c h t s o d e n k n i c h t denknote knoten dichte deine sinne not ohne ende noch nie licht doch sieh hin o ein loch ich ?
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DIE GEBURT DES WORTES Es kam, wie es kommen musste das erste Wort
Aber wie?
Gesprochen? Geschrieen? Geflüstert? Im Munde umgedreht und ausgespuckt? Vielleicht in den Wind geschrieben?
Und woher?
aus dem Bauch Gottes? aus der Feder Jandls? aus der Kehle meiner Tochter? aus dem Atem der Erde? aus dem paradiesischen Apfel?
Und warum?
Aus Angst? Aus Hunger? Aus Neugier? Aus Liebe?
Und wie lautete es?
Es liegt mir auf der Zunge... Oder ist es nur ein bitterer Apfelkern? 
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ZEITZÄHMUNG
Ich zähme die Zeit das scheue Eichhörnchen ich will sein weiches Fell berühren locke es mit einer goldenen Nuss der vergessenen weißen Weihnacht mit dem Vanilleduft der klebrigsüßen Kinderwangen und mit dem rosa Licht des Puppenstubenlämpchens es rückt schon mal näher und will Verstecken spielen oder Fangen und dann schummelt es und haut wieder ab
ich finde es ungerecht laufe zum Bild meiner Oma um zu weinen sie lächelt nur weiseweiß dann sehe ich das Eichhörnchen in ihrer Schürzentasche eingeschlafen ich darf es vorsichtig streicheln |
SONNENUNTERGANG
Nach diesem bleiernen Sommer hat kein Hahn mehr nach ihr gekräht sie wurde schwarz vor Ärger und ziemlich depressiv hatte oft Selbstmordgedanken verschickte anarchistische Drohbriefe gar nicht mal anonym
niemand beachtete sie punkt zwölf Uhr Mittags warf sie den letzten Schatten und sprang vom obersten Stockwerk einige verirrte Engel riss sie mit in die Tiefe
seitdem sind alle Katzen grau und die Sonntage gestrichen
das habt ihr davon
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MEIN FENSTER Ich gehe auf die Straße schaue zu meinem Fenster hinauf will wissen, ob ich da bin
Bei mir brennt das Licht das Fenster ist offen und ich höre Musik
Ich will zu mir zurück Ich habe den Schlüssel vergessen Eine Fremde macht das Fenster zu 
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HEISSE SPUR Mit bloßen Augen auf Motivsuche hüpfe ich über das Gras der gestrigen Augenweide Es schneidet mir den Weg ab
Kalt!
Die Tränen gefrieren innerhalb der Brennweite Mit schmerzenden Pupillen kreidebleich stelle ich die Schärfe neu ein finde eigene Spuren
Heiß! 
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SCHWARZES LOCH
Ein Stern stirbt immer unsichtbar in kosmischer Einsamkeit Nach dem Gravitationskollaps kann keine Strahlung entweichen
Niemand holt ihn vom Himmel kein Schiff mehr folgt seinem Lauf er wird nicht mehr gezählt
Wer ihm zu nahe kommt kann todessüchtig werden darum wird er gemieden
Ein schweres Schicksal nach einem lichterfüllten Leben

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AUSSEN - ABEND
bevor sie mir auf den Kopf fällt die himmelschwere Tagesdecke ziehe ich sie mir selbst über die Ohren darunter zur Sicherheit den dicken Räuberstrumpf des Vergessens regentränengetränkte Unschuld noch lange launachtwarm kann draußen unerkannt die duftenden Hecken streicheln mich leise mit Katzen verschwören Fenster mit einem Augenschlag öffnen Tapetenmuster klauen Kinderzimmer aufräumen kurz vorm Abendbrot spurlos dem gelben Lampenfieber fremder Wohnküchen entkommen außer Atem außer Angst
beinahe straffrei |
DER BLAUE FLUSS schlucke das Feuer trinke die Luft meide den Berg trage mein Haar offen mit Dauerwelle bringe das Stöckchen zum Hund kehre Schnee von gestern spüle fliegende Untertassen in der Zeitschlaufe verirrt ins Wasser gefallen tue dies und das wann kann ich meinen Rausch ausschlafen? endlich eine Talsperre breite mich aus mache blau 
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SPIEGELBILD
ich dachte ich kann mich erkennen blieb mir gegenüber stehen stimmte mich froh überein sah doppelt nicht dass ich ruhiggestellt vorm Spiegel sitzen blieb mir unerreichbar verkehrt |
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KOPFKINO |
In meinem Kopfkino behalte ich den Hut an in der Hoffnung, jemand würde mir zurufen:
Sie sind hier nicht alleine! |
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Alle Gedichte und Bilder: Copyright Barbara Lipinska |