IN VORBEREITUNG

Foto-Animation im Trailer:  MyHeritage

DER MANN AUS DEM SESSEL : 

Mein unfassbarer Großvater Edward  (Arbeitstitel)   

Im längsten Roman der Welt, Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, öffnet der Geschmack eines in Tee getauchten Kekses in Verbindung mit einem Glücksgefühl dem Erzähler den Weg in die längst vergangene Zeit. Vielleicht sollte ich auch diese Methode ausprobieren, um persönliche Erinnerungen an meinen Großvater Edward Lipiński zu wecken?


In Zeiten von Warschauer Treffen des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) habe ich meinen Großvater kaum gesehen, da ich seit 1977 in Deutschland lebte. Aber schon während meiner Schulzeit hatte ich ihn bewundert, und als Studentin wollte ich die Welt seines Denkens besser kennen lernen. Also besuchte ich ihn einmal und bat um eine Lese-Empfehlung für den Anfang. Nach einigen Minuten holte er aus seinem Arbeitszimmer eine kleine Ausgabe von Gramsci.


Meine lebhaftesten Erinnerungen stammen jedoch aus meiner Kindheit. In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, als mein Vater als Stipendiat in England war und meine Mutter ihn besuchte, verbrachte ich einige Wochen in der Wohnung meiner Großeltern Lipiński. Natürlich waren mir im Alter von sechs Jahren die Mängel des damaligen politischen Systems in Polen nicht bewusst. Ich ahnte auch nicht, welche Rolle dieser Ort Jahre später spielen würde. Aber selbst für ein kleines Mädchen wie mich hatte das Leben in der Rakowiecka-Straße eine besondere Aura, es regte die Fantasie und die Sehnsucht nach etwas Schönem und Wichtigem an, dessen Vorgeschmack, ich mit allen Sinnen wahrnehmen konnte. Es waren Empfindungen eines Kindes , entstanden nah am Boden aus vielen kleinen Eindeckungen, Faszinationen und Freuden.

Großvater war anwesend, aber irgendwo im Hintergrund, schwer zu fassen.

Es war die Großmutter, die sich um mich kümmerte.


Woran kann ich mich erinnern? Was ist meine „Madeleine“?
Ich hab's! Die Cornflakes! Großvater deckte sich beim Pewex, wo man westliche Ware nur gegen Devisen und spezielle Gutscheine bekam, mit den Originalmaisflocken von Kellog's ein. Sie waren fester Bestandteil seines Frühstücks, das er allein im Arbeitszimmer zu sich nahm. Ich hatte Anspruch auf eine Gastportion im Esszimmer, serviert auf einem der vielen tiefen Teller, die mit bunten, sehr realistisch gemalten Früchten und Blumen verziert waren. Es ist nicht auszuschließen, dass es Meißner Porzellan war. Aber die knusprigen goldenen Chips direkt aus der Packung schmeckten mir wesentlich besser als die in heißer Milch aufgeweichten Flocken. Deren Geschmack brachte ich seitdem mit dem dunklen, runden Tisch, dem riesigen Buffet und dem großen Stillleben an der Wand des Esszimmers in Verbindung . Als Kind verschlang ich, leider nur mit den Augen, meisterhaft gemalte, glitzernde Weintrauben, die es im wirklichen Leben nicht zu kaufen gab.


Wenn mein Großvater nicht zu Hause war, wagte ich mich vorsichtig ins Wohnzimmer, das sein Empfangsraum war. Der kleine Tisch mit seiner filigranen, vergoldeten Balustrade wurde zur Terrasse eines winzigen Prinzessinnenpalastes. Die in glattes Leder gebundenen Bücher zeigten, wenn man sie aufschlug, seltsame Zeichen. Die gedruckten Buchstaben kannte ich bereits, aber die Frakturschrift war mir neu.

Ich tippte die "Briefe" an meine Eltern in England auf einer großen schwarzen Schreibmaschine. Meine Großmutter, die als Sekretärin ihres Mannes fungierte, hatte es mir erklärt und erlaubt. Später wurden die politisch brisanten KOR-Texte auf einer anderen, neueren Maschine von jemand anderem abgeschrieben; meine Großmutter starb 1969. Vorher kündigte sie an, dass sie nach ihrem Tod die riesige Uhr, die im Flur stand, bewohnen und mir ein Zeichen geben würde. Ich hoffte lange Zeit, dass sie ihr Versprechen einlösen würde.
Es gab noch ein weiteres wichtiges „Familienmitglied“, eine Siamkatze namens Kropka (Punkt), die ich wie eine Puppe ankleidete und in einem Puppenkorbwagen unermüdlich durch die Wohnung herumkutschierte. Die Katze ließ dies widerstandslos zu. Nachts schlief sie in meinem Bett und nahm dabei die ganze Mitte ein. Leider schärfte sie auch ihre Krallen an den kostbaren Möbelpolstern.

Welche Eindrücke werden noch wach?  Das Schlagen der unzähligen Uhren in verschiedenen Tonarten, die geheimnisvollen Geräusche aus der weiten Welt und die Namen ferner Städte auf der beleuchteten Skala des Radios... Als ich ein Teenager war, brachte mir Opa Edward meine ersten Jeans und die ersten Beatles-Platten aus dem Westen mit.


Das letzte Mal besuchte ich ihn ein Jahr vor seinem Tod, 1985, als ich selbst schon ein Kind erwartete. Er saß, wie immer am Fenster, zerbrechlich und zierlich wirkend in seinem großen Ohrensessel. Er freute sich über die gute Nachricht. Nach Gramsci hat er nicht gefragt.
Ich glaube, er mochte mich. Ich wünschte, wir hätten uns besser kennengelernt. 

 

Auch darum wird es in diesem Film gehen.


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